Mat 15,21-28 Heilung der Tochter einer kanaanäischen Frau
Hier wird wieder einmal, wie noch öfters im NT, besonders in Matthäus,
ein Mensch aus dem Heidentum mit vorbildlichem Glauben vorgestellt.
Dies steht im Kontrast zu dem negativen Beispiel der religiösen Leiter Israels
im vorhergehenden Abschnitt. Der Kontrast zwischen den Pharisäern und der Frau ist auffällig:
Die Pharisäer bekommen geringfügig Unangenehmes von Gott gesagt: "Ehre Vater und Mutter",
und sie widersetzen sich dem, indem sie das Gebot uminterpretieren. Die Frau bekommt
von Jesus erheblich Unangenehmes gesagt: "Du bist ein Hund", und sie nimmt es demütig an.
Die Pharisäer sollten aufgrund ihrer Abstammung und Kenntnis der Heiligen Schriften
den richtigen Glauben haben, aber sie glauben nicht, bzw. falsch.
Von der Frau erwartet man aufgrund ihrer Abstammung und mangelnder Kenntnisse der
Schriften keinen Glauben, aber sie zeigt den richtigen Glauben.
Offenbar schließt dieser Abschnitt zeitlich unmittelbar an den vorhergehenden an,
wie der Text ausdrückt: "Und Jesus ging von dort weg und zog sich in die Gegend
von Tyrus und Sidon zurück. "
Tyrus und Sidon, die phönizischen Hafenstädte am Mittelmeer, sind heidnisches
Ausland. Sidon ist nach seinem Stammvater, dem ältesten Sohn Kanaans (1Mo 10,15) benannt.
Isebel, die Frau des gottlosen Königs Ahab des Nordreichs Israels, war eine Tochter
des sidonischen Königs Etbaal. Zu ihrer Zeit hatte der Baal-Götzendienst Hochkonkjunktur
in Israels Nordreich (1Kg 16,30-31). Bei Tyrus gab es einen berühmten Baal-Tempel.
Warum Jesus sich hierhin zurückzieht, wird nicht gesagt. Aus Mrk 7,24 geht hervor,
dass er mit seinen Jünger allein sein wollte, vielleicht um zu beten (vgl. Mrk 1,35)
oder die Jünger ungestört zu unterrichten.
Dass die Frau hier als kanaanäisch bezeichnet wird, soll deutlich machen, dass
sie zu der heidnischen Bevölkerung des Landes gehörte und nicht etwa eine
eingewanderte Jüdin war. In der Parallelstelle in Mrk 7,24-30 wird sie als
Griechin, eine Syro-Phönizierin von Geburt, bezeichnet. Damit wird der gleiche
Sachverhalt zum Ausdruck gebracht. Als Griechen wurden alle Nichtjuden des östlichen
Mittelmeerraums bezeichnet, die von der griechischen Kultur geprägt
waren (vgl. Röm 1,16 / Röm 10,12 / Gal 3,23 / Kol 3,11).
Angesichts dieses kulturellen und religiösen Hintergrunds der Frau ist
ihr Verhalten beachtlich:
Die Frau nennt Jesus "Sohn Davids" und bezeichnet ihn damit als Messias.
Sie lässt sich durch Hindernisse nicht von ihrem Hilfeersuchen abbringen:
- Es war nicht üblich, dass eine Frau einen Mann ansprach und schon gar nicht einen Juden.
- Die lange Ignoranz durch Jesus und
- die demütigende Abweisung hält sie nicht ab.
In ihrer Antwort auf Jesu Ablehnung zeigt sich große Demut und
Anerkennung Israels als Gottes Volk, das besondere Gemeinschaft mit
Gott hat. Sie glaubt, dass die Kinder Gottes an seinem Tisch Überfluss haben
und sie daher durch Jesu Hilfe an ihr keine Nachteile haben werden.
Die ablehnende, ja geradezu lieblos wirkende Haltung, die Jesus der Frau gegenüber
zunächst einnimmt, ist eigentlich nicht typisch für seinem Umgang mit
Nichtjuden (vgl. Mat 8,5-13 / Joh 4,4-9). Mögliche Gründe für dieses Verhalten
Jesu sind:
Die Frau spricht ihn zunächst falsch an. Auf den Messias hat sie kein Anrecht, wie
es Jesus ja in der Antwort an seine Jünger erklärt.
Aber das allein wäre für Jesus noch kein Grund sie einfach zu ignorieren. Er hätte
ihr das freundlich und sachlich erklären können. Dieser Versuch, die anfängliche
Kälte Jesu zu erklären, überzeugt also nicht recht.
Jesus geht hier seelsorgerlich mit der Frau um und will ihren Glauben und ihre Demut
herausfordern und prüfen. Ohne Demut vor Gott und die Erkenntnis, dass wir
kein Recht haben, als Nichtjuden und Sünder von Gott Zuwendung zu bekommen,
ist Gebetserhörung nicht möglich.
Dass Jesus dann doch ihre Bitte erfüllt, lehrt und folgendes über das Gebet:
Es lohnt sich, im Bitten beharrlich zu sein. Vielleicht wartet Jesus mit der
Antwort, um unseren Glauben, unsere Herzenshaltung und unsere Ernsthaftigkeit zu
prüfen (vgl. Jak 5,16-18 / Luk 18,1-8).
Jesus ist barmherzig. Selbst dann, wenn wir kein Recht auf seine Zuwendung haben,
weil wir gesündigt haben, ist er wohlwollend, wenn wir demütig umkehren und
von Herzen glauben.